Asiatische Staaten, wie z.B. China, Japan, Südkorea, Taiwan oder Vietnam, kommen besser mit der Corona-Pandemie zurecht, als Deutschland und Europa. Spielen interkulturelle Faktoren dabei eine Rolle? Kann Deutschland davon lernen? In unseren interkulturellen Trainings Asien, China, Japan oder Korea arbeiten wir diese Unterschiede ja heraus.
Wie unterscheidet sich die Reaktion der Asiaten auf Corona zu der in Deutschland?
Im Vergleich zu Deutschland gab es signifikante Unterschiede auf die Reaktion des Ausbruchs der Pandemie:
- Bereits 2003 gab es den ersten SARS-Ausbruch in Asien, der aber schnell unter Kontrolle gebracht werden konnte und „nur“ 700 Opfer forderte. Deutschland war verschont geblieben, der Ausbruch der Seuche eine Sache, die sich weit weg abspielte.
- Aus dieser Erfahrung hatten die Staaten aber gelernt und sowohl ihre Notfallplanungen, als auch ihr Gesundheitssystem anzupassen und aufzurüsten. Deutschland hatte dies nicht nötig gehabt, es gab schlicht keine Reserven. Daher auch der anfängliche Masken-Mangel.
- Die meisten Staaten in Asien reagierten daher auch sehr frühzeitig, als die Nachricht von der neuen Lungenkrankheit bekannt wurde. Dies beinhaltete strikte Einreisekontrollen bzw. -verbote, Tests und Quarantänevorschriften.
- Die Quarantäne wurde strikt nachverfolgt.
- Das Tragen von Masken wurde viel eher zur Pflicht als in Deutschland, wo man erst nach Wochen zugab, dass Masken durchaus schützen können. Wenn nicht sich selbst, dann die anderen.
- Big Data wurde genutzt, um Bewegungsprofile zu erstellen und mögliche Infektionswege nachzuverfolgen. In Deutschland aufgrund des Datenschutzes ein Ding der Unmöglichkeit.
Aus diesen Gründen konnte der Virus viel besser unter Kontrolle gebracht werden, als in Deutschland, wie gerade die Entwicklung in der „zweiten Welle“ belegt.
Interkulturelle Faktoren? Jein!
- Man kann das Verhalten der Asiaten nicht auf einzelne kulturelle Unterschiede reduzieren. In sozialistischen Staaten, wie China oder Vietnam, hat einfach die Regierung diktatorische Macht und die Bewohner viel weniger die Möglichkeit, die angeordneten Maßnahmen zu unterlaufen. Dies ist kein kultureller Unterschied, machte es den dortigen Regierungen aber leichter, die Maßnahmen durchzusetzen. Gleichzeitig konnte sich insbesondere die chinesische Regierung als „Sieger“ über den Virus inszenieren, indem sie die Informationskanäle kontrollierte. Verhaftete Blogger und merkwürdige Privataufnahmen aus Wuhan hinterlassen Zweifel an der Richtigkeit der offiziellen Zahlen.
- Hingegen hat das Tragen von Masken in Asien eine weit größere Akzeptanz als in Europa. Asiaten tragen oft Masken, um sich gegen die Luftverschmutzung zu schützen oder weil sie erkältet sind, bzw. sich keine Erkältung einfangen möchten. Dies ist eher ein kultureller Aspekt, sagt dieses Verhalten doch viel über die Einstellung zur Gemeinschaft aus.
- Weiterhin lieben die Asiaten Technologie und haben Deutschland und Europa bei deren Nutzung bereits weit überholt. Durch die strikte Kontrolle, die durch Handys möglich ist, war es natürlich leichter, Infektionswege nachzuverfolgen. Nutzung von Technologien taucht bisher in keinem Buch über kulturelle Unterschiede auf, und wenn, dann nur am Rande. Ich hingegen finde, dass dies ein wesentlicher Aspekt ist, gerade wenn man bedenkt, wie stark die Technologie mittlerweile unseren Alltag bestimmt.
- Als tendenziell kollektivistische Gesellschaften fällt es den Asiaten tendenziell leichter zu akzeptieren, wenn die persönliche Freiheit eingeschränkt wird, als den Europäern.
- Persönliche Kontakte in Asien sind weniger körperlich als in Europa. Händeschütteln und „Bussi-Bussi“ sind generell nicht üblich, und wenn Hände geschüttelt werden, dann meist in einem internationalen Umfeld. Es hat ja auch lange gedauert, bis sich die Deutschen daran gewöhnt hatten, sich per Ellenbogen in sichererem Abstand zu begrüßen.
- Die Asiaten haben von Anfang an mehr getestet – ein wichtiger Faktor, um unentdeckte Fälle zu verringern. Dies ist kein kulturelles Phänomen, sondern schlicht die Umsetzung einer durchdachten Strategie.
- Die stärkere Konzentration auf Risikogruppen und Superspreader-Events hat sich bewährt. Auch dies ist kein kultureller Faktor.
Asien als Vorbild?
Derzeit sieht es so aus, als ob die Asiaten die effizientere Strategie zur Eindämmung der Pandemie haben. Gerade das Beispiel Schweden illustriert, dass sich eine Laissez-faire-Strategie mit Appellen nicht auszahlt. Andererseits reflektieren die Maßnahmen auch das, was in den jeweiligen Gesellschaften als tragbar angesehen wird.
- Die deutsche Corona-App ist ein gutes Beispiel für halbherzigen Umgang mit der Technologie. Der Datenschutz und die individuellen Rechte des Einzelnen werden über einen effizienteren Gesundheitsschutz gestellt.
- Das eingeforderte virtuelle Arbeiten hat Defizite in der technischen Ausstattung vieler Bereiche gezeigt. Während viele Unternehmen sich anpassen konnten, leiden insbesondere Schulen, die vielfach immer noch nicht auf einen virtuellen Unterricht ausreichend eingerichtet sind. Leidtragende sind die Schulkinder und die Eltern.
- Glücklicherweise hat sich die Maskenpflicht nun durchgesetzt und die meisten Mitbürger haben begriffen, dass Maskentragen hilft, auch wenn es immer noch Uneinsichtige gibt.
- Das konsequente und drastische Einhalten von Quarantäne-Vorschriften mit entsprechenden Überprüfungen hat sich jedenfalls noch nicht in Deutschland durchgesetzt.
Was tun?
Anfang letzten Jahres sah sich die Bundesregierung mit einem Problem konfrontiert, auf das sie nicht vorbereitet war. Und was sie auch tat, es war immer richtig und immer falsch. Teilweise widersprachen sich die Mutmaßungen und die Maßnahmen:
- Erst hatten Masken keinen Effekt, dann plötzlich doch.
- Schulen wurden nicht zu Hotspots erklärt, nun gibt es Studien, die das Gegenteil aussagen.
- Erst ging von Friseuren und Restaurants mit entsprechenden Hygienekonzepten keine Gefahr aus, jetzt sind sie wieder geschlossen.
Deutsche tun sich generell schwer, wenn man ihre individuellen Rechte einschränkt. Datenschutz, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsrecht, Quarantänebestimmungen, Beherbergungsverbote – all dies war bereits Bestandteil von gerichtlichen Auseinandersetzungen, wobei es jedes Mal um die Frage ging: Wie weit darf der Staat die Rechte eingrenzen, um die Gesundheit zu schützen? Rechte, die die Deutschen nach den totalitären Albträumen der Vergangenheit zu schätzen gelernt hatten.
Der Drahtseilakt
Die Politik hat versucht, wie oft betont, das vermeintlich Zumutbare umzusetzen, nicht um die Pandemie zu besiegen, sondern um das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Das ist bisher gelungen. Aber je weniger strikt die Maßnahmen, desto mehr Opfer sind zu beklagen und desto länger dauert die jetzige „Hängepartie“.
Also doch von Asien lernen?
Sicherlich sollten wir daher einen Blick nach Asien werfen. Letztlich müssen wir beispielsweise entscheiden: Was ist uns wichtiger – Datenschutz oder Menschenleben? So brutal das klingen mag, Pandemien sind brutal. Sollte die Impfkampagne nicht zu dem erhofften Erfolg führen, werden wir irgendwann diese Frage beantworten oder mit den Folgen leben müssen. Und wenn man die Wissenschaft ernst nimmt, wird diese Pandemie nicht die letzte sein, bei der sich diese Fragen stellen werden.