Interkulturelles Training Italien – mehr als nur Opern und Spaghetti

Italien – Sehnsuchtsort der Teutonen

Italien übte seit Jahrhunderten eine magische Anziehungskraft auf Deutsche aus. In der Nachkriegszeit fuhr man mit Mann und Maus im überladenen VW Käfer über die Alpen, was damals noch so eine Art Abenteuer war. Aber Hauptsache Sonne, Wein und Bella Italia. Rudi Schuricke besang die Capri-Fischer und Caterina Valente machte den Deutschen mit „Komm ein bisschen mit nach Italien…“ den Mund wässrig. Dabei entstanden natürlich auch unvermeidliche Vorurteile. Gerade die Deutschen halten ja unheimlich viel von ihrer Ingenieurskunst, so dass sie leicht übersehen, dass es auch in anderen Nationen, die wirtschaftlich vielleicht nicht so gut dastehen, bedeutende Erfindungen und Erfinder gibt. In Italien beispielsweise Marconi, der Pionier der drahtlosen Funkübertragung.

Die Tatsache, dass in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts massenweise italienische Gastarbeiter nach Deutschland strömten, schuf leicht das Image vom armen und rückständigen Italien. Es stimmt, die Kaufkraft in Deutschland war generell höher, aber Norditalien war bereits damals ein industrielles Schwergewicht in Europa. Was Automobile angeht – Fiat aus Turin motorisierte die Massen. Ferrari, Maserati & Co. bauten Traumwagen und Design-Studios wie beispielsweise Pininfarina, Ghia, Zagato oder Bertone kleideten nicht nur italienische, sondern Fahrzeuge in ganz Europa ein!

Einem Hersteller, der in den 20er und 30er Jahren zu Ruhm im Rennsport gekommen war und exklusive Fahrzeuge für die „Happy Few“ fertigte, gelange es nach dem 2. Weltkrieg durch Nutzung der Renntechnik und neuer Produktionsmethoden, sich erfolgreich im Massenmarkt zu etablieren – Alfa Romeo. Wenige Modelle haben so nachhaltig zum Ruf einer Marke beigetragen wie die Alfa Romeo Giulia. Hier ein Beweis der italienischen Ingenieurskunst, den der Autor unlängst in einem Oldtimer-Club-Magazin veröffentlicht hat.

Alfa Romeo  erfindet die Sportlimousine für Jedermann

Nein, es ist kein Ausbund an Eleganz, der da 1962 in Monza vorgestellt wird. Wenig repräsentativ bis hässlich, originell aber verspielt lauten die Kommentare über den vom Centro Stile von Alfa Romeo gezeichneten Wagen. Aber schnell ist er. Ein Grand Turismo mit 4 Türen, wie die Zeitschrift Hobby in ihrer Ausgabe 24/62 schrieb. Die Rede ist natürlich vom Alfa Romeo Giulia TI („Turismo Internazionale“), der 1962 das Licht der Welt erblickte, von der er noch nicht so richtig verstanden wurde. Die Liebe zu diesem heute so populären Auto musste erst wachsen. Mit seinem 1,6 Liter-Motor, 92 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 170 km/h deklassierte er die Konkurrenz. Die Bilder dieser echten „Ur-Giulia“ habe ich mit freundlicher Genehmigung  im Autohaus Eyring in Hofheim am Taunus gemacht, wo man sie käuflich erwerben konnte. Eine gute Adresse auch zur Wartung klassischer Alfas.

Was fuhr denn noch so, damals in Deutschland?

Damals fuhr gefühlt halb Deutschland VW Käfer. Mein Vater hatte auch einen. An guten Tagen zitterte sich die Tachonadel auf 115. Aber auch die anderen populären deutschen und europäischen Konkurrenten konnten der Giulia nicht das Wasser reichen. Beispiele gefällig?

  • Ford Taunus 17M TS – 1,7 l – 75 PS – 152 km/h
  • Opel Rekord A – 1,7 S – 67 PS – 142 km/h
  • Fiat 1500 – 1,5 l – 67 PS – 150 km/h
  • Fiat 1800 – 1,8 l – 81 PS – 146 km/h
  • Volvo 122 S – 1,8 l -83 PS – 150 km/h

Selbst der stärkste Porsche jener Zeit verfügte nur über 90 PS, was sich erst im Folgejahr ändern sollte, als der 911 mit 130 PS erschien! Interessanterweise brachte BMW im selben Jahr die „Neue Klasse“ auf den Markt, deren erster Vertreter der BMW 1500 mit 80 PS und 150 km/h Höchstgeschwindigkeit war. Und selbst der ein Jahr später nachgeschobene 1800 schaffte trotz größerem Hubraum und 90 PS „nur“ 160 km/h. Interessanterweise gab es auch eine leistungsgesteigerte Variante des 1800 mit 110 PS und einer Spitze von 170 km/h. BMW nannte sie – 1800 TI. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Das war das Umfeld, in das die Giulia „geboren“ wurde. Um ähnliche Fahrleistungen zu erhalten, musste man schon 1 bis 2 Klassen höher suchen!

Zeitgeist versus Sportlichkeit – am Anfang steht ein Kompromiss

So ganz traute man der Sportlichkeit bei Alfa Romeo zuerst noch nicht, so dass man bei einigen Details erst einmal auf die damalige Mainstream-Mode vertraute. Zwar waren fünf Gänge vorhanden, aber die wurden per Lenkradschaltung sortiert. Dafür gab es eine durchgehende Sitzbank vorne, die man wegen des Kardantunnels aber nicht zu dritt nutzen konnte. Ein Bandtacho kontakarierte optisch die Verheißungen des Drehzahlmessers und erstaunlicherweise bremsten rundum Trommel- statt Scheibenbremsen die Giulia ein. Nein, so ganz schien Alfa Romeo dem Braten noch nicht zu trauen, obwohl das Konzept gut durchdacht war. Erst ab 1963 wurden die Trommelbremsen von Scheibenbremen abgelöst, 1964 folgt die Knüppelschaltung mit separaten Vordersitzen und 1965 folgen gemeinsam mit der Vorstellung der Giulia Super Rundinstrumente und ein sportliches Dreispeichen-Lenkrad.

Innovationen à la italiana – Konzept und Technik

Was machte die Giulia denn nun so außergewöhnlich, abgesehen von der Tatsache, dass es eine schnelle Limousine war? Mehrere Dinge, wobei die Herkunft des verantwortlichen Konstrukteurs aus der Luftfahrt eine Rolle spielte. Die Planungen begannen 1959 auf „einem weißen Blatt Papier“. Alfa Romeo und sein Chefingenieur Orazio Satta Puglia wollten etwas wirklich Neues, Revolutionäres erschaffen:

  • „Der Wind hat die Giulia geformt“. Die Konstruktionsabteilung hatte den Auftrag, sie möglichst strömungsgünstig zu gestalten, was auch gelang. So kam die Giulia zu ihrer hinteren Abrisskante. Die Versuche waren mitunter sehr rustikal. Der Wagen wurde auf eine gewisse Geschwindigkeit beschleunigt und dann ausrollen gelassen. Je weiter es ging, desto besser war der cw-Wert. Eigentlich eine simple Sache, die auch funktionierte und im Windkanal in Turin bestätigt wurde. Obwohl die Form der Giulia an einen Schuhkarton erinnert, dauerte es noch bis in die 80er Jahre bis ihr cw-Wert von 0,34 in dieser Klasse unterboten wurde!
  • Man legte Wert auf Sicherheit, entwickelte Knautschzonen und führte auch die neuartigen Crash-Tests durch, deren Ergebnisse in die Konstruktion einflossen. Damit gehörte Alfa Romeo zusammen mit Mercedes-Benz und General Motors zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Weiterhin gab es eine geteilte Lenksäule, keine hervorstehenden Kanten im Innenraum und ein geschüsseltes Lenkrad. Aus heutiger Sicht wirkt die Giulia nicht besonders sicher, dazu fehlt ihr die „Beruhigung einflößende Masse“. Aber tatsächlich galt sie als eines der sichersten Autos der damaligen Zeit.
  • Renntechnik und Fünfgangschaltung. In einer Zeit, als gerade vier statt drei Gänge serienmäßig wurden, war das bei Alfa zwar nicht neu, aber immer noch innovativ. Zwei obenliegende Nockenwellen steuerten die Ventile – das gab es nach wie vor nur in echten Sportwagen.
  • Last not least war das Konzept einer kompakten Sportlimousine neu. So etwas gab es in dieser Fahrzeugklasse noch nicht. Interessanterweise schickte sich BMW zur selben Zeit an, diesen Weg ebenfalls einzuschlagen. Die Giulia und der 02er BMW wurden dann direkte Konkurrenten, sie sprachen das gleiche Publikum an.

Es war gewagt, denn die Giulia sollte gleich zwei Typen aus den 50er Jahren ersetzen: Die kleinere Giulietta und den größeren Alfa Romeo 1900. Es gelang. Die Giulia war dabei die Basis für eine ganze Produktfamilie: Die Coupés mit der Bezeichnung Sprint und den Spider, der 1966 unter dem Namen „Duetto“ die betagten Cabrios, die noch aus den 50ern stammten, ablöste und durch den Film „Die Reifeprüfung“ mit Dustin Hoffmann zu ungeahnter Popularität kam.

Von 1600 auf 1300

Wer in Italien auf Stückzahlen kommen wollte, benötigte allerdings aus steuerlichen Gründen ein Fahrzeug in der 1,3-Liter-Klasse. Folgerichtig führte Alfa Romeo 1964 die 1300er Giulia ein, die sich zunächst mit 78 PS begnügen musste, aber im Rahmen diverser Modellpflegen bis auf 89 PS aufgerüstet wurde (manche Quellen geben auch 87 oder 88 PS an). Interessanterweise konnte man verschiedene Leistungsversionen parallel ordern. Die 1300er erhielt eine abgespeckte Ausstattung und war äußerlich an den einfachen Schweinwerfern zu erkennen. Die Doppelscheinwerfer blieben der 1600er vorbehalten. Jedenfalls bis 1971, als beide Versionen sich nur noch durch die Ausstattung und den Schriftzug am Heck unterschieden.

Mehr Power

Schon 1963 erschien die Giulia TI Super – in 501 Exemplaren. Die Zahl weist darauf hin, dass es sich um ein Renngefährt handelte. Denn man benötigt zur sportlichen Homologation genau 500+1  Exemplare, die in den regulären Straßeneinsatz kommen. Der 1,6-Liter-Motor wurde aus dem Spider Veloce übernommen, die Motorleistung betrug dank zweier Doppelvergaser 112 PS und der Rest wurde konsequent erleichtert. So fehlten sogar Heizung und Fernlichter. Auf diese Weise erreichte der Wagen knapp 190 km/h. 499 dieser Fahrzeuge wurden in weiß ausgeliefert und mit einem grünen Kleeblatt (Quadrifoglio verde) gekennzeichnet, das fortan zum Symbol für besonders leistungsfähige Modelle von Alfa Romeo  werden sollte. Umbauten regulärer Giulias gab es keine – es war quasi unmöglich, eine reguläre TI in eine TI Super zu verwandeln.

Bei den „bürgerlichen“ Giulias wählte man einen anderen Weg. Anstatt den 1600er-Motor weiter aufzurüsten, wurde der leistungsfähigere Motor aus der Giulia Sprint GTC abgerüstet und die Ausstattung des Wagens aufgewertet. Gleichzeitig verschwand die Chromeinfassung der Scheinwerfer und des Kühlergrills. Alle Modelle erhielten nun einen schwarzen Kühlergrill mit drei verchromten Leisten. Das Ganze nannte man Giulia Super und bot nun bei gleichem Hubraum 98 PS und eine Spitze von 175 km/an – der Durchbruch auf den internationalen Märkten, u.a. Deutschland. Dieses Modell prägte fortan das Image der Giulia und zum Gutteil auch von Alfa Romeo. Bis 1971 wuchs die Leistung dann bis auf 103 PS. Und dabei sollte es bleiben.

Ein kurzes Gastspiel ab 1968 gab das Modell 1600 S mit 95 PS, das als sparsamer Reisewagen konzipiert worden war. Eigentlich keine schlechte Idee, aber da die Fahrleistungen zu nahe an der 1300er Giulia waren, griffen aus steuerlichen Gründen die Kunden dann doch lieber zum kleineren Modell, so dass man den Verkauf bereits 1969 einstellte.

1968/1969 entstanden von der Giulia Super sogar 16 Kombis, genannt Promiscua, als Sonderanfertigung.

Den Ruf nach noch mehr Leistung und Luxus erhörte Alfa Romeo, indem nicht die Giulia weiter aufgerüstet wurde, sondern gleich ein neues Modell auf den Markt kam. Auf Basis der Giulia erschien 1968 die vergrößerte, aber recht nüchtern gestylte Alfa Romeo Berlina 1750 (der Name ist eine Reminiszenz an die legendären 1,75-Liter-Rennmotoren aus den 30er Jahren) mit 1779 ccm, 118 PS und eine Spitzengeschwindigkeit von 181 km/h. 1970 wurde daraus die Alfa Romeo Berlina 2000 mit 1962 ccm, 131 PS und einer Spitze von 193 km/h (das war damals der schnellste Wagen in einem meiner Autoquartetts, so was bleibt haften!). Damit hatte der sogenannte 105er Motor seine letzte technische Ausbaustufe erreicht. Nicht wenige Fans bedauern, dass es den 2-Liter-Motor nie in der Giulia gegeben hat, weshalb einige diesen Motor in ihrer Giulia nachrüsteten, um sie endgültig zum Geschoß zu machen. Kann man tun, muss aus meiner Sicht aber nicht sein.

Mehr als nur ein Schwanengesang

Anfang der 70er Jahre war die Giulia eigentlich am Ende ihres Lebenszyklus angekommen. Alfa Romeo war jedoch nicht auf Rosen gebettet, weshalb sich Einführung der Nachfolgemodelle verzögerte. Also musste das was da war, noch einmal aufgepeppt werden.

Alfa Romeo veränderte die Giulia noch mal gründlich. Zum Entsetzen vieler Alfa-Fans wurde die modelltypische Sicke im Kofferraum glatt gebügelt, die Doppelscheinwerfer erhielten wie bei der 2000er Berlina die gleiche Größe und saßen nun in einem schwarzen Plastikkühlergrill. Innen wurden die Skalen der Instrumente blau hinterlegt, Holzfurnier gestaltete den Innenraum wohnlicher und ein tief geschüsseltes Holzlenkrad sorgte für mehr sportlichen Charakter. Mailänder Barock von Feinsten eben.

Unter dem Blech blieb alles beim bewährten Alten. Mit anderen Worten – die Motoren und die Fahrleistungen waren immer noch  konkurrenzfähig! Und damit es auch alle mitbekommen, nannte man sie jetzt Giulia Nuova Super. 1977 erschien mit der neuen Giulietta dann der Nachfolger, aber bis 1978 konnten man die Nuova Super noch ordern. Der Wagen hatte eben schon damals seine Fangemeinde.

Heute ist die Szene gespalten. Manche Fans haben die Glättung der Karosserie Alfa nie verziehen und konzentrieren sich auf die „echten Giulias“ vor 1974. Bei mir ist es anders herum. Schon als Schüler ein begeisterter Leser von Auto, Motor und Sport (sofern das Taschengeld noch reichte), weiß ich noch, was ich damals dachte, als ich die ersten Bilder der Nuova Super sah: „Mensch, endlich sieht die Giulia gut aus.“ Last not least stellt die Nuova Super die ausgereifteste Version der Giulia dar.

Eine Besonderheit und ein absolutes Novum bei Alfa Romeo stellte die Nuova Super Diesel dar (die Ölkrise lässt grüßen), die ab 1976 angeboten wurde, allerdings nur in Italien. Mit einem englischen Perkins-Dieselmotor bestückt war man Herr über gemächliche 55 PS. Abgesehen von der Giulietta der 50er Jahre blieb es das einzige Alfa Romeo Nachkriegsmodell, dessen Tachometerskala bei 160 endete. Eine schöne Aufrundung, denn mehr als 138 km/h waren nicht drin.

Verkaufszahlen

Die Giulia verkaufte sich sehr gut, auch aufgrund der Zugehörigkeit zur damaligen EWG. Insgesamt wurden 526.000 Einheiten abgesetzt. Wenn man die „großen Modelle“ 1750 und 2000 Berlina (orange) hinzuzählt, kommen beide Baureihen sogar auf 715.000 Einheiten.

Modellübersicht

Zur besseren Orientierung hier eine kleine Übersicht über die einzelnen Modelle und ihre Bauzeit.

ModellTechn. Daten6263646566676869707172737475767778
Giulia TI1570 ccm, 92 PS, 170 km/h

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xxxxx
Giulia TI Super1570 ccm, 112 PS, 189 km/hx

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13001290 ccm, 78 PS, 155 km/h

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xxxxxxx
Giulia Super1570 ccm, 98 PS, 175 km/hxxxxxxx
Giulia 1300 TI1290 ccm, 82 PS, 160 km/hxxxxxxx

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Giulia 1600 S1570 ccm, 95 PS, 170 km/h

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Giulia 1300 Super1290 ccm, 87 PS, 166 km/hxxxx

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Giulia 1600 Super1570 ccm, 103 PS, 175 km/hxxx

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Giulia Nuova Super 13001290 ccm, 87 PS, 165 km/h

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Giulia Nuova Super 16001570 ccm, 102 PS, 175 km/hxxxx

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Giulia Diesel1760 ccm, 55 PS, 138 km/hxx

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Quelle: „Alfa Romeo – Alle Serienautos seit 1950“ von Karl Lange und „ Alfa Romeo Giulia“ von Lorenzo Ardizio

Legenden sterben nie

Die Giulia erlangte Kult- und Legendenstatus. Dies übertrug sich auch auf das heutige Preisniveau der Giulia, obwohl das Angebot an Fahrzeugen aufgrund der Stückzahlen recht groß ist. Originalfahrzeuge aus den 60er Jahren werden nicht unter 15.000 und oft über 20.000 Euro angeboten. Oder man macht es wie ich und greift zur „billigen“ Nuova Super.

Die Giulia war ein Auto, das viele haben wollten und sich ab einem bestimmten Gehaltsniveau auch leisten konnten. Nur Vernunftgründe ließen die „Träumer“ dann zu den üblichen Verdächtigen (BMW, Ford, Opel etc.) greifen. Aber vielleicht gerade deshalb erfreuen sich die „realen Traumwagen“ heute so großer Beliebtheit. Ein alter Ferrari ist damals wie heute nur für die „Happy Few“ erschwinglich, ein Alfa aber ist drin. Fritz B. Busch hat dies einmal schön beschrieben, als er in den 80er Jahren einmal mit einer Giulia in Norditalien tourte („Ein Frühlingstag mit Giulia“). Er verglich dabei höchst poetisch die Giulia „mit einem Maimorgen am Lago Maggiore, wenn man spürt, dass noch alles drin ist in dem Tag, der vor einem liegt“. Keine Frage, er mochte die Giulia. Und er vergaß auch nicht den Passanten zu erwähnen, der gar fragte: „Ist das der neue Alfa? Wann kommt der `raus?“

Meine Erfahrungen mit der Giulia heute

  • Ich fahre seit einem Jahr erneut eine Giulia Nuova Super 1300 von 1975 und war bereits von 2003 bis 2008 stolzer Besitzer einer Nuova Super 1300.
  • Die Giulia ist ein kompakter Wagen, nach heutigen Maßstäben eigentlich fast schon ein Kleinwagen.
  • Die Giulia ist sparsam und sie unterbietet, im Gegensatz zu heute, lässig die offiziellen Verbrauchsangaben. Im Schnitt komme ich auf Reisen auf einen Verbrauch zwischen 7,5-8,5 Liter/100 km. Um 10 Liter/100 km zu überbieten muss man schon ständig in der Stadt Kurzstrecke fahren.
  • Die Giulia ist schnell, nach damaligen Maßstäben sowieso. Die im Fahrzeugschein bestätigten 87 PS hören sich nach nicht besonders viel an, aber auch heute kann man prima im Verkehr mitschwimmen und wenn es sein muss, auch bis 170 km/h beschleunigen (dauert halt nur ein wenig).
  • Autobahnfahrten mit 120-140 km/h sind kein Problem, auch wenn es ab 110 km/h doch merklich laut wird im Innenraum.
  • Die Synchronisation des Getriebes ist eine Achillesferse bei allen damaligen Alfa-Getrieben, meist erwischt es den 2. Gang. So auch bei meiner Giulia. Man muss dann Zwischengas geben oder eine „Gedenksekunde“ vor dem Schalten einlegen.
  • Ein wichtiges Detail: Die vorderen ausstellbaren Dreiecksfenster. Sie ersetzen hervorragend und zugfrei eine Klimaanlage, zumindest solange man fährt. Eigentlich schade, dass es sie heute nicht mehr gibt.
  • Achten sollte man auf den Vergaserflansch – der geht gerne kaputt.
  • Sofern man darauf achtet, die 6 Liter Motoröl sanft warm zu fahren (20-30 km) und dann erst richtig Gas zu geben, ist der Motor sowohl langlebig, als auch zuverlässig.
  • Die Giulia erregt positive Aufmerksamkeit. Wenn man gern mit anderen Menschen in Kontakt kommt, ist die Giulia ein prima Vehikel. Das mag natürlich für fast alle Oldtimer gelten, aber eben auch für die Giulia (s. den erwähnten Artikel von Fritz B. Busch).
  • Die Ersatzteilversorgung ist kein großes Problem. Technische Teile bekommt man in der Regel auf Bestellung und die Wartung ist einfach und preisgünstig. Lediglich manche Blechteile sind schwerer zu finden. Für meine erste Giulia Nuova Super konnte ich sogar einen kompletten Satz Sitzbezüge aus Italien neu bestellen, original gefertigt auf den alten Maschinen! Ich weiß nicht, ob es die Firma noch gibt, aber das sagt einiges über die Ersatzteillage bei Alfa aus.
  • Familienväter aufgepasst – das Platzangebot ist ausreichend für 4 Personen, auch mit Gepäck, sofern man die Schrankkoffer zu Hause lässt. Der Slogan „der Familienwagen, der Rennen gewinnt“ ist also nicht aus der Luft gegriffen.
  • Im Gegensatz zu den vielfach kolportierten Geschichten über die unzuverlässigen italienischen Fahrzeuge kann ich behaupten, dass meine Giulias sehr zuverlässig sind/waren. Sicher, es geht immer mal was kaputt, wie bei allen Fahrzeugen dieses Alters. Meine Erfahrung besagt, dass wenn die Giulia nicht anspringt, die Batterie ersetzt werden muss.
  • Probleme gibt es eigentlich immer nur mit Rost, aber heute wird die Giulia ja als Schönwetterfahrzeug genutzt.

Die Erben

Bei Alfa Romeo beerbte die Giulia wieder eine Giulietta. Man überarbeitete die Motoren gründlich und erhöhte Hubraum und Leistung. Später wurden auch die 1,8 und 2,0 Liter-Motoren in der Giulietta erhältlich. Gleichzeitig wurde der Transaxle-Antrieb, der 1972 im Alfa Romeo Alfetta debütiert hatte, verwendet. Das klingt zwar gut, aber ein eher langweiliges Design, ein (noch) ungewohnt hohes Heck und eklatante Qualitätsmängel (u.a. das Thema Rost!) sorgten dafür, dass die neue Giulietta trotz des „Mythos Alfa Romeo“ weit hinter den Erwartungen zurückblieb. In acht Jahren Bauzeit wurden gerade einmal 380.000 Einheiten abgesetzt.

Die 1750/2000 Berlina-Modelle hatten keinen direkten Nachfolger. Man könnte die ab 1972 parallel zur Berlina 2000 angebotene Alfetta (1,75 l-Motor mit 122 PS) dazu zählen, die in späten Baujahren ebenfalls den 2,0-Liter-Motor erhielt. Ab 1979 wurde dann der glücklose Alfa 6 herausgebracht, der dann aber, wie der Name schon sagt, mit 6-Zylinder-Motoren angeboten wurde und daher eigentlich eine Klasse höher spielte.

Dieser Bruch in der Modellpolitik und die Qualitätsprobleme führten dann dazu, dass Alfa Romeo sich 1986 unter das Dach von Fiat retten musste. Eine weitere kleine Randnotiz: In den 70er Jahren lagen sowohl BMW, der deutsche Vertreter familientauglicher Sportlimousinen, und Alfa Romeo in den Verkaufszahlen fast gleichauf. Wir alle wissen, was BMW daraus gemacht hat.

Literatur

Wer genug Benzin im Blut hat und etwas mehr erfahren will, dem empfehle ich folgende Bücher/Hefte, die auch in meinem Regal stehen und die ich für diesen Artikel zu Rate gezogen habe. Einige sind nur noch antiquarisch erhältlich (Ebay hilft), wenn überhaupt, aber dankenswerterweise kommen ja immer wieder neue Bücher über Alfa Romeo heraus. Die Vielfalt der Alfa Romeo-Literatur ist generell beeindruckend!

  • Alfa Romeo Giulia von Lorenzo Ardizio, Heel Verlag, ISBN 978-9-86852-695-0 (Bunt, übersichtlich, informativ), 2012
  • Alfa Romeo – alle Serienautos seit 1950 von Han-Karl Lange, Reihe V.I.P. Motor der Verlagsunion Erich Pabel- Arthur Moewig KG, ISBN 3-8118-3013-9, 1992
  • Schrader-Motor-Chronik, Alfa Romeo Giulia+Giulietta, Berlina, Sprint, Spider, Schrader Verlag, ISBN 3-922617-50-6, 1988
  • Autos, die Geschichte machten, Giulietta & Giulia 750,101,105 von Dirk-Michael Conradt, Motorbuch Verlag Stuttgart, 1990 (meist schwarz-weiß, aber sehr informativ)
  • Weiterhin sind die sehr aufwendig gestalteten Jahrbücher von Alfa Romeo zu empfehlen
  • Zeitschrift Hobby, Ausgabe 24/62 vom 7.11.1962
  • Diverse Artikel in Motor Klassik (u.a. vom Oktober 2015)

Interkulturelles Training Italien – Fazit

Was hat diese Geschichte bloß mit einem interkulturellen Training zu tun? Mehr als man glauben möchte, denn hier spiegelt sich vieles von dem wider, was man mit Italien verbindet: Innovative Lösungen, Leidenschaft, aber auch Probleme mit der Qualität. Hier zeigt sich auch, wie Deutsche und Italiener an Dinge herangehen, was ihnen wichtig ist und wie sie es umsetzen. In einem interkulturellen Training Italien werden eben diese Aspekte angesprochen, damit die Zusammenarbeit klappt und von beiden Einstellungen das Beste kombiniert werden kann.   

By | 2022-01-01T10:45:59+00:00 01. 01. 2022|Global Cultures|

About the Author:

Rainer Beekes ist interkultureller Experte aus der wirtschaftlichen Praxis. Während seiner Unternehmenslaufbahn war er über 25 Jahre für multinationale Konzerne wie z.B. Volkswagen Financial Services, American Express, GMAC oder Société Générale in 5 Ländern in Linien- und Führungspositionen tätig. Der studierte Betriebswirt und Master of International Management (MIM) leitet Global Cultures – Akademie für interkulturelles Management, für die über 200 Experten zu 112 Ländern und Regionen weltweit tätig sind. | Linkedin | Xing | Google+ | Twitter | youtube | RSS |