Interkulturelle Kompetenz Tschechien – der etwas andere Nachbar

Interkulturelle Kompetenz Tschechien – der etwas andere Nachbar

Tschechien ist seit 25 Jahren ein geschätzter Nachbar, in dem viele deutsche Unternehmen in der einen oder anderen Form engagiert sind. Entweder man nutzt die im Vergleich zu Deutschland geringeren Arbeitskosten, um kostengünstig zu produzieren. Oder man nutzt das Land als Absatzmarkt. Immerhin haben ca. 10 Millionen Tschechen sich mittlerweile eine interessante Kaufkraft erwirtschaftet, insbesondere in der Hauptstadt Prag, wo Vollbeschäftigung herrscht und die post-sozialistischen „Schnäppchen“ schon lange der Vergangenheit angehören.
Jedoch sind die Tschechen ein slawisches Volk und von der Mentalität her sehr unterschiedlich im Vergleich zu den Deutschen. Es gilt daher diese Besonderheiten zu berücksichtigen, wenn man erfolgreich dort tätig werden will.

Flexibilität und Freiräume – der Umgang mit Regeln

Als erstes Beispiel ist die im Vergleich zu Deutschland eher flexible Umgang mit Strukturen und Regeln zu nennen. Tschechen neigen dazu, sich eher auf ihr ausgeprägtes und durchaus erfolgreiches Improvisationstalent zu verlassen. Dieses Misstrauen gegenüber Strukturen hat auch eine geschichtliche Verankerung. Das Land stand über Jahrhunderte hinweg unter Fremdherrschaft. Seit 1526 regierten hier die Habsburger und im 2. Weltkrieg wurde das Land von den Nationalsozialisten zerschlagen und besetzt. Letztlich kann man auch die sozialistische Periode zwischen 1948 und 1990 als „Fremdherrschaft“ bezeichnen. Das Schaffen und die Nutzung von Freiräumen entwickelten sich daher zu einer Frage der nationalen Identität. Daher ist es essentiell für die tschechische Arbeitsmoral, dass Anweisungen und Regeln nachvollziehbar akzeptiert werden können. Ist dies der Fall, liegt die tschechische Produktivität und auch die Qualität auf internationalem Niveau. Schließlich hat das Land eine große industrielle Tradition (3/4 der Industrien im habsburgischen Österreich-Ungarn lagen auf tschechischem Gebiet). Andernfalls führt der Hang zur Improvisation und zur Delegation der Verantwortung nach oben nicht selten zu Qualitätseinbußen. Es ist also sehr wichtig, Sinn und Absichten darzulegen und die Tschechen in die Lösungs- und Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.

Konflikte – nein danke

Insbesondere ist ebenfalls der Hang zur Konfliktvermeidung in denselben Kontext zu stellen. Wer fremd regiert wird, noch dazu autoritär, entwickelt ein gutes Gespür für Diplomatie. Man könnte ja etwas falsch machen und die Konsequenzen mögen unerfreulich sein. Daher legen sich Tschechen auch nicht gerne fest. Ihre Kommunikation erfolgt indirekt, d.h. die wahren Dinge werden „offiziell“ (z.B. bei Meetings, Besprechungen) nicht angetastet, wenn sie auch unerfreulich sein können. Die kollidiert mit der direkten deutschen Art, in der die Sachebene von der persönlichen Ebene klar getrennt ist und Konflikte auf der Sachebene durchaus offen ausgetragen werden. Für die Tschechen ist diese Trennung nicht gegeben, und durch die Vermischung beider Ebenen wird Kritik durchaus persönlich empfunden, wodurch die Harmonie gestört wird. Daher sind deutsche Mitarbeiter und Vorgesetzte gut beraten, auf Schuldzuweisungen zu verzichten und lösungsorientiert vorzugehen. Kritische Themen sollten unter vier Augen und in einer nicht offiziellen Umgebung angesprochen werden. Auch hier sollte man direkte Kritik vermeiden, denn diese anzunehmen fällt Tschechen schwer, ebenso wie für Fehler einzustehen. Oft werden Ausreden als diplomatischer Ausweg genutzt. Ferner sollte berücksichtigt werden, dass das teutonische „Nein“ von Tschechen nicht zu hören sein wird. Auch hier sind die Tschechen eher indirekt, denn ein einfaches Nein ist undiplomatisch und könnte die persönliche Beziehung beschädigen. Die Herausforderung für Deutsche besteht also darin, Antennen zu entwickeln, die sie in die Lage versetzen zu verstehen, was wirklich vor sich geht. Andernfalls entsteht nicht selten eine „Parallelwelt“ zwischen tschechischen und deutschen Mitarbeitern.

Wertschätzung und Umgang miteinander – die Basis für erfolgreiche Kooperation

Ein probates, aber zeitaufwendiges Mittel ist die externale Kontrolle. Diese ist nicht als Kontrolle „der Hausaufgaben“ zu verstehen. Tatsächlich sollte sich ein deutscher Vorgesetzter auch hier diplomatisch verhalten. Erwartet er aber Feedback nach deutschem Muster („mein Angestellter wird sich schon melden, wenn es Probleme gibt, das gehört zu seiner Aufgabe“), werden seine Bemühungen schnell ins Leere laufen. Die hierarchische Einstellung der Tschechen definiert Feedback als Holschuld des Vorgesetzten. Hier müssen sich Deutsche umgewöhnen, wobei ein gutes persönliches Verhältnis mit den Mitarbeitern ungemein hilft. Dies beinhaltet, dass Tschechen Vorgesetzte nicht als funktionale Wesen, sondern stets als Menschen wahrnehmen. Diese menschliche Ebene, zu der auch gehört, dass Vorgesetzte sich im persönlichen Bereich öffnen, ist die Basis, um Vertrauen aufzubauen. Wertschätzung für die geleistete Arbeit ist ebenfalls willkommen und die oft in Deutschland gelebte Handlungsmaxime „nicht kritisiert ist gelobt genug“ sollte im Interesse der Mitarbeiterproduktivität besser hintangestellt werden. Nicht zuletzt darf man nicht vergessen, dass die Marktwirtschaft in Tschechien erst 25 Jahre jung ist. Und im vormaligen sozialistischen System war Eigeninitiative eher gefährlich.
Auch die im Vergleich zu Deutschland eher lockeren Umgangsformen im tschechischen Büroalltag sollten nicht missinterpretiert werden. Die Hierarchie mit all ihren Abstufungen ist nach wie vor intakt, lediglich die Erscheinungsform ist eine andere.

Vorbereitung ist die Essenz für den Geschäftserfolg

Diese Beispiele mögen einen kleinen Einblick in wesentliche, aber erfolgsentscheidende Unterschiede geben. Deutsche, die in der Regel als Führungskräfte nach Tschechien gehen, sind daher gut beraten, sich intensiv mit allen Facetten der Unterschiede zu beschäftigen. Ein interkulturelles Seminar und ein interkulturelles Coaching helfen hier konkret, um sich entsprechend vorzubereiten und die Problemkreise von Anfang an zu erkennen und zu minimieren. Mögen Erzgebirge und bayerischer Wald noch in einer vertrauten Umgebung liegen – ein paar Kilometer weiter beginnt eine andere Welt.

About the Author:

Rainer Beekes ist interkultureller Experte aus der wirtschaftlichen Praxis. Während seiner Unternehmenslaufbahn war er über 25 Jahre für multinationale Konzerne wie z.B. Volkswagen Financial Services, American Express, GMAC oder Société Générale in 5 Ländern in Linien- und Führungspositionen tätig. Der studierte Betriebswirt und Master of International Management (MIM) leitet Global Cultures – Akademie für interkulturelles Management, für die über 200 Experten zu 112 Ländern und Regionen weltweit tätig sind. | Linkedin | Xing | Google+ | Twitter | youtube | RSS |