Interkulturelles Training Russland – Der Wahnsinn hat einen Namen

Alle reden vom Krieg – nur Putin nicht

In den Morgenstunden des 24.2.2022 marschierte die russische Armee im Nachbarland Ukraine ein. Der Truppenaufmarsch in den Wochen zuvor hatte also doch das Ziel gehabt, eine Invasion vorzubereiten. Diesmal hatte die CIA recht, aber niemand wollte anscheinend wirklich das Undenkbare glauben. Zynischerweise behauptete Präsident Putin ein paar Tage zuvor noch, dass er Truppen wieder abziehe. Ein Lügner. Ferner begründete er den Krieg damit, dass die Ukraine eigentlich gar kein eigenständiger Staat sei und die demokratisch gewählte Regierung aus Nazis und Drogenabhängigen bestünde. Ein Lügner. Weiterhin darf in Russland selbst nicht von Krieg und Invasion gesprochen werden, sondern von einem Sondereinsatz. Wieder eine Lüge.

Die alten Zeiten sind zurück – 1938 und der kalte Krieg lassen grüßen

Die ganze Situation erinnert mich fatal an 1938. Damals ließ man Hitler gewähren, um den Frieden in Europa, den Hitler nie wollte, zu erhalten. Der Preis war ein Teil der Tschechoslowakei, die noch nicht einmal mitbestimmen und verhandeln durfte. Großbritannien und Frankreich gewährten Hitler großzügig Teile eines Landes, das ihnen gar nicht gehörte. Und die Tschechoslowakei war so schwach, dass sie sich nicht wehren konnte. Was daraus wurde, wissen wir alle. Dabei hätte man es vorhersehen können, hatte Hitler doch seinen eigentlichen Ideen in einem weitverbreiteten Buch erläutert.

Und Putin? Er bleibt undurchsichtiger. Kein Wunder, er ist ja auch ein Mann des KGB. Aber die Annexion der Krim und die Bildung von dubiosen selbsternannten Volksrepubliken im Donbass und seine Äußerung bei seinem letzten Amtsantritt 2018  hätten schon zu denken geben können. Wie 1938, als man dachte, dass Hitler nun endlich zufrieden sein müsste.

Auch im Werdegang von Putin finden sich Hinweise. Der traumatisierte KGB-Offizier, der sich von der Führung in Moskau im Stich gelassen fühlte, als in Deutschland die Mauer fiel. Die „Schmach“ des Zerfalls der Sowjetunion und die „Niederlage“ im kalten Krieg.

Imperialismus à la Russe

Russische Regierungen haben immer imperial gedacht. Erst der Aufbau des Zarenreiches, das sich seine Kolonien in das Reich einverleibte, weil sie praktischerweise vor der Haustür lagen. Auch nach dem Ende des Zaren machten sich die neuen kommunistischen Machthaber daran, erst einmal in einem blutigen Bürgerkrieg daran, die alten Grenzen wieder herzustellen, was ihnen mit Ausnahme einiger Gebiete im Westen ja auch gelang. Dann kam der 2. Weltkrieg, die Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs bis in die Mitte Europas und die Etablierung einer Atommacht, die die freie Welt in Schrecken versetzen konnte.

Und 1991? Schmach und Elend. Nicht nur, dass die neue demokratische Regierung Russlands die Probleme des Landes nicht in den Griff bekam, ein betrunkener Präsident machte sich lächerlich und die neuen wirtschaftlichen Oligarchen verteilen die Filetstücke der russischen Wirtschaft unter sich. Russland sank herab zu einem Rohstofflieferanten herab, der nicht mehr so recht ernst genommen wurde, auch wenn er nach wie vor über ein beachtlichen Arsenal an Nuklearwaffen verfügte.

Und dann kam Putin

Zunächst war Putin der Heilsbringer, der wieder Ordnung in ein chaotisches Land brachte. Aber es sollte seine Ordnung werden. Ob er einen Plan hatte? Wer weiß. Auf jeden Fall gelang es ihm, seine Chancen zu nutzen. Es folgte ein wirtschaftlicher Aufschwung, die sogenannte Friedensdividende erreicht auch die russische Bevölkerung. Aber so richtig ernst nahm man das Land immer noch nicht, zumal sich eine neue Macht als Weltmacht zu etablieren begann – China.

Nichtsdestotrotz blieb der Einfluss Russlands in fast allen ehemaligen Sowjetrepubliken Dank moskautreuer Potentaten erhalten. Die baltischen Staaten flüchteten sich so schnell es ging in die NATO und die EU. Sie wussten ja Bescheid.  Ähnlich machten es die ehemaligen sozialistischen Staaten in Osteuropa. Übrig blieb – die Ukraine. Nicht, dass die Ukraine ein wirtschaftlich erfolgreicher Staat gewesen wäre. Aber dort geschahen so unerhörte Dinge wie freie Wahlen. Es gab sogar eine orangene Revolution, die die russlandfreundliche Regierung stürzte. Die Ukrainer wandten sich dem Westen zu, denn man wärmt sich am Feuer, nicht am Eier Kohlen. Gute Güte, was wenn das auch in Russland geschehen würde?

Die junge Generation konnte man nicht mehr so leicht kontrollieren, weshalb Putin ja auch auf bewährte Maßnahmen wie manipulierte Wahlen (was er am Anfang noch gar nicht nötig hatte), der Inhaftierung missliebiger Oppositioneller und Auftragsmord zurückgriff. Stets gab es dafür Begründungen, die einem rational denkenden Menschen die Fußnägel aufrollten. Und hier sind wir wieder im kalten Krieg. Schon die Sowjetmacht hatte nach dem Motto gehandelt „Nicht sein kann, was nicht sein darf“. Aus der Übung war Putin also nicht.

German Angst in Russland?

Hinzu kam etwas, dass sich durch die russische Geschichte zieht – das Gefühl, bedroht zu werden. Man fragt sich warum? Zwei Versuche, Russland zu erobern, einmal durch Napoleon, einmal durch Hitler, scheiterten kläglich. Das Land ist einfach zu groß! Und die Bevölkerung leistete patriotischen Widerstand. Tim Marshall erklärt in seinem Buch „Die Macht der Geographie“ sehr treffend, wie die Geographie dieses Gefühl der Bedrohung begünstigte. Aber die neuere Geschichte hält noch andere Gründe parat: Hitlers Verrat an Stalin, der trotz des Nichtangriffspakts in der Sowjetunion einmarschierte, die Bedrohung durch die USA und die NATO, die dem Kommunismus den Kampf angesagt hatten. Die ausgestreckte Hand zum Frieden nach 1991 wurde ergriffen, aber nur lau geschüttelt, bevor man sich wichtigeren Partnern zuwandte. Denn plötzlich stand nicht mehr eine Ideologie, sondern die Wirtschaft im Vordergrund. Man wollte die „Friedensdividende“ ja auch kassieren. Und da waren die Russen klar im Nachteil.

Respekt? Eher nicht so…

Bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit spielte die NATO eine große Rolle. Man wollte die Freiheit Osteuropas auch damit erkaufen, dass die NATO sich dort zurückhielt. Das waren aber keine vertraglichen Abmachungen. So kam es auch, dass die ehemals sozialistischen Länder so schnell wie möglich unter den Schutzschirm der NATO flüchteten – und die NATO ließ sie gewähren. So schob sich das Bündnis immer näher an die russische Grenze heran. Eine Bedrohung? Nein, warum sollte die NATO auch Russland bedrohen? Das empfand man aus russischer Sicht jedoch anders. Gegenüber einem geschätzten Partner verhält man sich nicht so. Worauf also Rücksicht nehmen?

Ideologie vs. Rationalität

Meine Frau stammt aus Russland. Sie wurde in Moskau geboren, wuchs in der Sowjetunion auf und lebt seit 1995 in Deutschland. Sie ist schon seit 22 Jahren deutsche Staatsbürgerin, spricht fast perfekt Deutsch, und ist als Unternehmerin sehr erfolgreich. Ein Grund dafür ist, dass sie rational handelt und ihre Tätigkeiten nach wirtschaftlichen und logischen Gesichtspunkten ausrichtet. Das hat sie u.a. in Wien und den USA gelernt, wo sie Wirtschaft studierte.

Sie hat bis zum 24.2. nicht geglaubt, dass Putin wirklich in die Ukraine einmarschiert. Und war natürlich geschockt. Sie denkt rational. Was kann man mit so einem Krieg gewinnen? Wirtschaftlich nichts und für die Betroffenen Menschen ist es eine Katastrophe. Putin jedoch denkt nicht rational, sondern ideologisch, wobei er seine eigene Ideologie vom Platz der Russischen Föderation in der Welt hat. Danach handelt er, nachdem er sich der Unterstützung der wahren zweiten Weltmacht – China- versichert hat. Wieder eine Parallele: Der Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin 1939 sollte Hitler den Rücken freihalten, um im Westen zuschlagen zu können. Putin ist bereit, vieles zu opfern, was Russland in den letzten Jahrzehnten erreicht hat. Nicht zuletzt möchte er auch seine innenpolitische Situation verbessern, denn die Sache mit der Opposition wurde immer schwieriger.

Und jetzt?

Wir können uns fragen, wann und ob Putin stoppen wird. Interessanterweise reden alle von Putin, nicht dem russischen Volk, und das ist gut so. Ich bezweifle, dass es im russischen Volk eine Mehrheit für einen Krieg gegeben hätte. Eine Eskalation zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, auch zum Nachteil von Deutschland, dass sich bei der Energieversorgung viel zu sehr von Russland abhängig gemacht hat. Mit rationalen Mitteln ist Putin also nicht zu stoppen. Er verhält sich wie ein „Bully“ auf dem Schulhof, der seine Mitschüler so lange drangsaliert, bis man ihm auf die Nase haut.

Schätzungsweise ist die Ukraine verloren. Zu stark erscheint der russische Militärapparat am Ende. Eine Aufrüstung der Ukraine käme ohnehin wohl zu spät. Aber die NATO-Grenzen sind in der Nachbarschaft. Und das könnte zu einer Zerreißprobe werden. Wenn Putin auch die NATO angreift, dann zerfällt das Bündnis entweder, wenn sich Franzosen, Engländer und Deutsche nicht für Esten, Litauer oder Polen umbringen lassen wollen. Oder es könnte zum Äußersten kommen, denn es ist fraglich, ob die NATO konventionell tatsächlich so stark wäre, die russische Armee aufzuhalten. Das war schon im kalten Krieg so, aber der nukleare Schutzschirm hat das „Gleichgewicht des Schreckens“ aufrechterhalten. Wie weit wird Putin also gehen? Je weniger er zu verlieren hat, desto weiter.

Keine Antwort

Was aber kann die Antwort sein? Außer wirtschaftlichen Maßnahmen steht im Moment nichts zur Verfügung, um dem „Bully auf die Nase zu hauen“. Und die würden auch den Westen treffen. Dennoch – wenn der Westen nicht geschlossen handelt, spielt er Putin nur in die Hände. 1938 – Neville Chamberlain hatte nur das Beste im Sinn, aber er hatte die Lage falsch eingeschätzt. Hätte man Hitler damals mehr Widerstand entgegengesetzt – wer weiß, was uns erspart geblieben wäre. Chamberlain handelte rational – Hitler ideologisch.

Was Deutschland angeht – wir müssen unsere Energieversorgung neu ordnen und die Bundeswehr wieder zu einer ernst zu nehmenden Truppe machen, denn das war sie mal, als ich als „Bürger in Uniform“ meinen Beitrag zur Verteidigung unseres Landes leistete. Deutschland muss mehr denn je seinen Beitrag zur NATO leisten. Beides sind Dinge, die nicht über Nacht geschehen können. Hoffentlich gerät das nicht wieder in Vergessenheit, wenn sich die Lage wieder beruhigt hat. Wie auch immer die Welt dann aussehen wird.

Interkulturelles Training Russland – ein Auslaufmodell

Bis 2014 gehörten die interkulturellen Trainings Russland zu unseren „Rennern“. Nachdem die Sanktionen wegen der Annexion der Krim in Kraft traten, änderte sich das bis fast gegen 0. Logischerweise kann man nicht erwarten, dass sich diese Situation verbessert, denn unsere Auftraggeber waren Firmen, die in Russland tätig waren oder werden wollten. Dieser Zahn ist nun gezogen, denn wenn etwas klar ist dann das, dass wirtschaftlich zwischen Westeuropa und Russland bitterer Frost herrschen wird.  Es sei denn es geht jemandem darum, „den Feind kennenzulernen“. Wie damals im kalten Krieg.

Zwei Anmerkungen zur Kultur

Einstellungen und Werte sind immer Teil der Kultur. Insofern möchte ich noch auf zwei Dinge aufmerksam machen. Als Putin einmal von einem Journalisten gefragt wurde, ob die Russen wegen des verheerenden Krieges 1941-1945 nicht Vorbehalte gegen die Deutschen hätten, antwortete er: „Wir haben ja gewonnen.“

Es ist schön, dass die Russen das Deutschland nach dem 2. Weltkrieg nicht verteufeln. Es zeigt aber auch, wie Putins Einstellung zu all den Leiden und Toten, die der deutsche Angriff verursacht hat, ist: Alles Wurscht, solange wir gewinnen. Und es zeigt noch etwas: Putin hat seine Kriegsziele klar formuliert. Erreicht er sie nicht, zeigt er Schwäche, denn er hat verloren. Das würde ihn wahrscheinlich nicht nur sein Amt kosten, es wäre auch eine persönliche Schmach.

Menschenleben habe in Russland traditionell nie die Bedeutung gehabt wie in Westeuropa. Das war schon unter dem Zaren so, als Soldaten mit schlechter oder gar keiner Bewaffnung gegen die deutschen und österreichischen Truppen ins Feld geschickt wurden. Das waren hauptsächlich Bauern, also Menschen, auf die man nach der damaligen Einstellung verzichten konnte, solange es dem Zaren dient. Kein Wunder, dass die Revolution in Russland auf fruchtbaren Boden gefallen ist.

Die Einstellung, Menschen als militärische Werkzeuge zu behandeln setzte sich dann mit der Roten Armee fort. Die Ideologie stand über allem, zumal die kommunistische Ideologie ja eine kollektive Ideologie ist (im Gegensatz zu den USA, wo es um das Recht des Einzelnen geht).

Nur eines ist festzuhalten. Kriegslüstern sind die Russen nicht. Aber Russland hatte oft Regierungen, die es waren.

Schlusswort

Wir hätten niemals gedacht, dass wir Stellung zu einem Krieg in Europa nehmen müssen. Bedauerlicherweise ist dies der Fall. Unsere Gedanken sind bei allen, die den Preis für dieses sinnlose Gemetzel zahlen müssen. Und wir können nur hoffen, dass die Kampfhandlungen bald vorbei sind. Der Preis wird hoch sein, für alle Beteiligten. Und hoffentlich wird es noch eine Ukraine geben.

 

By | 2022-02-27T14:09:29+00:00 27. 02. 2022|Global Cultures|

About the Author:

Rainer Beekes ist interkultureller Experte aus der wirtschaftlichen Praxis. Während seiner Unternehmenslaufbahn war er über 25 Jahre für multinationale Konzerne wie z.B. Volkswagen Financial Services, American Express, GMAC oder Société Générale in 5 Ländern in Linien- und Führungspositionen tätig. Der studierte Betriebswirt und Master of International Management (MIM) leitet Global Cultures – Akademie für interkulturelles Management, für die über 200 Experten zu 112 Ländern und Regionen weltweit tätig sind. | Linkedin | Xing | Google+ | Twitter | youtube | RSS |