„Solange sie durch Polen fließt, ist Polen nicht verloren“. So sgate meine Großmutter, die aus einem kleinen Ort in der Nähe von Posen (Poznan) stammte. Wie viele meiner deutschen Landsleute habe ich also etwas slawisches Blut in mir. Die Nachbarn Polen und Deutschland hatten von jeher ein etwas kompliziertes Verhältnis. Dabei kommen die einen nicht ohne die anderen aus.
Ein Blick in die Geschichte
- Die Grenze zwischen Polen und Deutschland verschob sich im Laufe der Geschichte permanent. Waren in dem Gebiet, das heute Polen ist, im frühen Mittelalter slawische Stämme ansässig, änderte sich das Bild bald, denn von Westen drängten deutsche Siedler in die Region. Dennoch konnte sich Polen behaupten, ja stieg sogar zu einer Großmacht auf. Dabei war Polen kein hinterwäldlerischer Staat. 1569 führte das Königreich als erstes Land Europas eine Gewaltenteilung ein!
- Ab 1573 bestimmten Wahlkönige die Geschicke des Landes, u.a. August der Starke von Sachsen. Das Ende Polens als selbstständiger Staat kam dann zwischen 1772-1795, als das Land zwischen den Großmächten Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt wurde. Polen teilte ab da das Schicksal anderer osteuropäischer Staaten, die fremdbestimmt waren (z.B. Tschechien, Slowakei oder Ungarn).
- Erst 1918 entstand ein neuer polnischer Staat, der aber in steter Spannung zwischen seinen Nachbarn Deutschland und der neu gegründeten Sowjetunion stand. Die nächste Teilung kam dann 1939, als Hitler und Stalin ihre Grenzen absteckten.
- Erst 1945 gab es wieder ein Polen, das weiter westlicher lag. Die Sowjetunion verleibte sich die östlichen Gebiete ein, während im Westen Polen mit den ehemaligen deutschen Gebieten Pommern und Schlesien entschädigt wurde. Die ungeliebten Deutschen wurden vertrieben oder flüchteten. Das Ergebnis war, dass Polen auch heute noch einer der homogensten Staaten Europas ist: )5 % der Bevölkerung sind Polen.
- Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa wurde Polen zu einem demokratischen Staat und trat sowohl der EU, wie auch der NATO bei. Letzteres auch deshalb, weil die Furcht vor Russland tief in der Bevölkerung verankert ist.
Die Rolle der katholischen Kirche
Über 90 % der Polen geben an, zur katholischen Kirche zu gehören. Das ist bemerkenswert für einen ehemaligen sozialistischen Staat und Polen nimmt hier eine Sonderstellung ein. Ein Grund dafür ist, dass die katholische Kirche stets ein Bestandteil des Nationalbewusstseins war und als Abgrenzungsmerkmal zu den protestantische Preußen und den orthodoxen Russen diente. Zählt man die heutige konservative Regierungsmehrheit und die traditionelle Einstellung der Kirche zur Abtreibung zusammen, ergibt dies das explosive Gemisch zwischen der neuen verschärften Gesetzgebung zur Abtreibung und den zahlreichen Protesten der liberal eingestellten Bevölkerung dagegen.
Polen in Deutschland
Man muss sich vor Augen halten, dass der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands am Ende des 19. Jahrhunderts ohne die Arbeitskräfte aus den damals zu Deutschland gehörenden Regionen Polens schwer möglich gewesen wäre.
Und da das Herz des deutschen Fußballs früher in den Industriegebieten im Westen zu finden war, künden auch die Aufstellungen der deutschen Nationalelf bis in die 70er Jahre von vielen Spielern mit polnischen Wurzeln, wie z.B. Szymaniak, Abramczik, Tilkowski, Juskowiak oder Kwiatkowski. Kennt heute keiner mehr? Ruhm ist vergänglich, aber damals gehörten sie zur Elite.
Und heute? Heute engagiert man „eine Polin“, wenn es darum geht, Verwandte zu Hause pflegen zu lassen.
Man könnte meinen, dass solch enge Verbindungen auch dafür gesorgt haben, dass sich die Mentalitäten angeglichen haben. Weit gefehlt. So eng sind die Verbindungen nun auch nicht. Wie unterscheiden sich Deutsche und Polen nun? Wesentliche Unterschiede sind beispielsweise:
- Zeitverständnis
Am besten werden die Unterschiede in folgender Tabelle erklärt
Monochrones Zeitverständnis in Deutschland | Polychrones Zeitverständnis in Polen | |
Positive Ausprägung |
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Negative Ausprägung | Mangelnde Flexibilität | Mangelnde Fokussierung |
Wie man sieht, haben beide Ausprägungen Vor- und Nachteile. Die Polen haben dadurch auch ein beachtliches Improvisationstalent entwickelt. Während der Ausdruck Improvisation in Deutschland eher negativ behaftet ist (nicht durchdacht, nicht haltbar), wird er in Polen eher mit Kreativität gleichgesetzt. Als einmal die Mauer unserer Einfahrt neu aufgebaut werden musste, weil ein Auto dagegen gefahren war, engagierten wir einen polnischen Handwerker (offiziell, mit Rechnung!). Und von der Versicherungssumme noch etwas übrig war, fragten wir ihn, ob er noch unseren Hof neu pflastern könnte. Seine Antwort: „Ich komme aus Polen, ich kann alles.“ Und er konnte es auch wirklich.
- Unsicherheitsvermeidung
Deutsche sind große Unsicherheitsvermeider, d.h. sie können nicht gut mit Unsicherheit umgehen. Deshalb wird in Deutschland ja auch so viel geplant, um unerwünschte Überraschungen so gut wie möglich auszuschließen. In Polen geht man entspannter mit diesem Aspekt um
Deutschland | Polen |
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Hier zeigen sich beispielsweise auch große Unterschiede im Geschäftsleben, z.B. bei der Herangehensweise bei Projekten. So entsteht oft der Eindruck, dass die Polen nicht ensthaft genug an eine Sache herangehen. Weit gefehlt, sie machen es eben nur anders.
- Kommunikation
In Deutschland pflegt man eine sehr direkte Kommunikation. Der Ausdruck „Ein Mann – ein Wort“ illustriert dies sehr schön. In Polen kommuniziert man eher indirekt, d.h. oft muss man zwischen den Zeilen lesen, was Deutschen, die aus einem anderen Kontext kommen, oft nicht leicht fällt. Gerade im Zusammenhang mit Kritik führt dies oft zu Konflikten. Während Deutsche Meister der sachlichen Kritik sind, formulieren Polen dies aus deutscher Sicht eher „weichgespült“. Klar, dass dieser Aspekt nicht selten für Missverständnisse sorgt.
Deutschlands Aufstieg war geprägt von preußischem Militarismus. Disziplin und Gehorsam führten zum Erfolg. Schlachten wurden genau geplant. Mit einem „wir greifen vielleicht morgen an, wenn das Wetter gut ist“, kam man nicht weiter. Polen hingegen musste jahrhundertelang zwischen fremden Herren jonglieren (s. Geschichte). Und im Sozialismus wurde wenig besser, wie das geflügelte Wort „Sie tun so, als ob sie uns bezahlen, und wir tun so, als ob wir arbeiten“ belegt.
Ist das alles?
Natürlich nicht. Diese wenigen Beispiele zeigen bereits, dass man den östlichen Nachbarn nicht unterschätzen sollte. In einem interkulturellen Training Polen wird auf diese Unterschiede und wie man mit ihnen umgeht im Detail eingegangen. Und dann klappt´s auch mit Nachbarn.