Interkulturelles Training – keine Pille gegen alles

Interkulturelles Training – keine Pille gegen alles

Interkulturelle Zusammenarbeit – leichter gesagt, als getan

Vor einiger Zeit hat ein niederländisches Unternehmen seinen Mitarbeitern einen kleinen Leitfaden in die Hand gegeben, der beschreibt, was Engländer sagen und was sie wirklich meinen. „I hear what you say“ wird demnach verstanden als „Er akzeptiert meinen Standpunkt“. Laut des Leitfadens hingegen wollen die Engländer ausdrücken: „Ich bin überhaupt nicht einverstanden und will das Thema nicht weiter diskutieren.“
Nun treiben die Niederlande und England seit Jahrhunderten miteinander Handel und sind quasi Nachbarn. Trotzdem hielten es die Niederländer für eine gute Idee, diesen Leitfaden zu erstellen. Wir können uns also leicht ausmalen was es bedeutet, wenn zusätzliche interkulturelle Komplexität auftritt. Während wir unsere eigene Kultur bestens einschätzen können, kann es über kulturelle Grenzen hinweg nur allzu leicht zu Missverständnissen kommen. Laut einer Siemens-Studie entstehen bei internationalen Projekten durch solch interkulturelle Reibungsverluste zusätzliche Kosten in Höhe von etwa 20 bis 25%. Zudem müssen solche Projekte erfahrungsgemäß oft Zeitverluste hinnehmen oder werden gar eingestellt. Interkulturelle Projektbegleitung kann bis zu 2/3 dieser Kosten einsparen, kann vor allem aber Synergien nutzbar machen, die auch über das Ende des Projekts hinaus eine positive Ausstrahlung auf die internationale Zusammenarbeit entwickeln.

Cogito ergo sum – Am Anfang steht, Bewusstsein zu schaffen

Kulturen sind wie Zwiebeln. Es gibt die für alle sichtbare Außenhaut und darunter viele Schichten bis hin zu den inneren Werten. Aber es gibt nicht nur die Zwiebel der anderen, es gibt auch die eigene Zwiebel. Es gilt also, beide „interkulturelle Zwiebeln“ zu schälen. Dabei legt man die Faktoren, die eine Kultur und ihre Werte geprägt haben frei, wie z.B. Geschichte, Religion, Geographie. Um eine andere Kultur zu verstehen ist es jedoch ebenso essentiell, sich seiner eigenen Kultur bewusst zu werden, die im Allgemeinen als gegeben und selbstverständlich angesehen und daher nicht aktiv hinterfragt wird. Die Entwicklung interkultureller Kompetenz als Basis für eine erfolgreiche internationale Zusammenarbeit ist also keine Einbahnstraße, sondern ein Prozess, der nicht durch „ein paar Trainingseinheiten“ erschlagen werden kann, in denen man lernt, „wie man Messer und Gabel hält“. Welchen Umfang dieser Prozess einnehmen sollte, hängt nicht nur davon ab, d.h. ob Mitarbeiter entsendet werden, auf Geschäftsreise fahren oder gar nur virtuell mit den ausländischen Kollegen oder Partnern zusammen arbeiten. Auch wie der Mitarbeiter selbst „gestrickt“ ist spielt eine große Rolle. In allen Fällen ist es jedoch quasi unumgänglich, seine „Komfortzone“ zu erweitern und fest verankerte Verhaltensweisen zu durchbrechen. Zusätzlich muss man noch seinen eigentlichen Job erledigen. Das kostet Zeit und viel zusätzliche Energie. Eine professionelle Vorbereitung und Begleitung hilft, diese Herausforderung leichter zu bewältigen und kann ein ausschlaggebender Erfolgsfaktor kann.

I´m ok, you´re ok – Wie fördert man Akzeptanz und interkulturelle Kompetenz?

Unter Akzeptanz im interkulturellen Sinne versteht man generell, dass unterschiedliche Wege, die auf verschiedenen kulturellen Werten basieren, anerkannt werden. Ein prominentes Beispiel ist die Verhandlungsführung in Japan. Japaner sind konsensorientiert und setzen alles daran, ihr Gesicht zu wahren. Der direkte deutsche Verhandlungsstil mit schnellen Entscheidungen widerspricht dem japanischen Verständnis, einen Konsens herbeizuführen. Letztlich führen beide Wege zum Ziel, nur auf verschiedene Art und Weise. Dies zu verstehen und zu akzeptieren ist die Voraussetzung dafür, dass das eigene Verhaltensrepertoire um neue Verhaltensweisen erweitert wird, so dass man sich auch in einer fremden Kultur adäquat bewegen kann.
Für die Bewältigung dieses Prozesses sind natürlich auch die eigenen gelebten Einstellungen und Verhaltensweisen entscheidend. Je flexibler das eigene Verhalten und das Urteilsvermögen sind, desto leichter kann man sich auf interkulturelle Herausforderungen einstellen. Auch Stressresistenz ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, denn gerade in solchen Situationen tendieren Menschen dazu, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Diese Liste ließe sich noch um weitere Faktoren wie z.B. einem offenen Kommunikationsstil, Sprachkenntnisse und Belastbarkeit ergänzen. Ein Kultur- und Business-Coaching ist dabei ein wichtiges Tool, um diese Eigenschaften zu entwickeln.
Dies macht deutlich, dass die reine kulturelle Ebene nur einen Teil des Prozesses darstellt. Zwar ist es essentiell, kulturelle Unterschiede zu verstehen und zu verinnerlichen. Landesspezifika stellen jedoch nur eine von mehreren Ebenen interkulturellen Verständnisses dar. Zu wissen, warum man in Indien beispielsweise nicht mit der linken Hand essen sollte, ist sicher nützlich, bringt einen bei Vertragsverhandlungen aber noch nicht ins Ziel. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist das Erkennen und das Reflektieren des eigenen Verhaltens. Auf dieser individuellen Ebene muss man erkennen, wie man auf andere Menschen in anderen Kulturen wirkt und wie dies die Effizienz und den Erfolg der Arbeit im interkulturellen Umfeld beeinflusst. Last not least spielt die Unternehmensebene eine gewichtige Rolle. Wenn ein Unternehmen die nötigen Strukturen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit nicht etabliert hat, ist der interkulturelle Erfolg trotz aller anderen Bemühungen gefährdet. Ein prominentes Beispiel sind Matrix-Organisationen, die in Westeuropa und USA zwar erfolgreich etabliert sind, in anderen Ländern mit einem stark hierarchisch ausgerichteten Management-Verständnis, wie z.B. in asiatischen Staaten, jedoch oft zu Problemen führen.

Yes, we can – Was erleichtert die tägliche Zusammenarbeit?

Der weitaus wichtigste Faktor bei interkultureller Zusammenarbeit ist gegenseitige Wertschätzung. Wohlgemerkt keine „einstudierte“ Wertschätzung, auf Knopfdruck aktiviert. Wird Wertschätzung jedoch als authentisch empfunden, werden auch kleine Fehler verziehen und man kann seine ausländischen Partner leicht da abholen, wo sie stehen. So sollte man auch hinter auf den ersten Blick komischen Verhaltensweisen grundsätzlich eine positive Absicht vermuten. Beispielsweise unterbrechen Russen ihre Gesprächspartner oft. Während dies in Deutschland als unhöflich empfunden wird, wollen Russen damit Interesse an der Konversation signalisieren. Offenheit und Darlegung von Absichten sind dabei einfache Mittel, um Missverständnisse aufzuklären.
Unternehmen selbst sind aber ebenfalls in der Pflicht, ihren Beitrag zu erfolgreicher interkultureller Zusammenarbeit zu leisten. Dies beginnt bei der sorgfältigen Auswahl von Mitarbeitern für internationale Schlüsselpositionen. Nicht der beste Fußballspieler ist auch der beste Trainer. Jürgen Klopp bestritt nie ein Spiel für die Nationalmannschaft und Diego Maradona lernt demnächst bei Pep Guardiola. Daher ist auch nicht notwendigerweise der klügste Ingenieur am besten geeignet, ausländische Mitarbeiter zu führen. Eine wesentliche Unterstützung für die zielgerichtete Auswahl von Mitarbeitern für internationale Positionen durch das Management bietet beispielsweise TIP© (The International Profiler) – ein Instrument zur Selbsteinschätzung, mit dem Führungskräfte und Mitarbeiter erkennen können, welche Schwerpunkte sie bei der Arbeit im internationalen Kontext setzen sollten. Er unterstützt die Beteiligten dabei, möglichen Entwicklungsbedarf zu identifizieren und beinhaltet Vorschläge für konkrete Aktionsschritte.
Ferner führen schlecht definierte Prozesse, Strukturen und Kommunikationswege zu Konflikten und Interessensgegensätzen. Das Vertrauen in Projekte und die Organisation wird beschädigt und die Ursachen von Problemen nicht in den Strukturen, sondern fälschlicherweise in kulturellen Differenzen gesucht. Plötzlich sind die einen faul und die anderen starrköpfig. Oder um es mit den Worten von Carl Jung zu beschreiben: „Wenn man jemand anderen nicht versteht, tendiert man dazu, ihn für einen Idioten zu halten.“
Um sicherzustellen, dass alle beteiligten Personen den Weg mit Begeisterung beschreiten und zu Ende gehen, ist es daher eine zentrale Aufgabe des Managements, alle Beteiligten miteinzubeziehen und Ergebnisse und Erwartungen klar zu kommunizieren. Dabei steht das Management nicht allein da. Internationale Organisationsentwicklung leistet einen entscheidenden Beitrag, stabile und erfolgreich arbeitende Strukturen zu etablieren und unterstützt das Management bei der Umsetzung der Unternehmensziele und der erfolgreichen Bewältigung interkulturell anspruchsvoller Herausforderungen.

„Am Ende gilt doch nur, was wir getan und gelebt – und nicht, was wir ersehnt haben.“ – Arthur Schnitzler

Wir machen Geschäfte mit Menschen, nicht mit Kulturen und jeder Mensch ist anders. Beispielsweise gelten Deutsche gemeinhin als pünktlich, aber ich kenne auch sehr unpünktliche Deutsche. Entscheidend ist es daher zu wissen, mit welcher Persönlichkeit wir es zu tun haben und in welchem Strukturrahmen wir uns bewegen. Dos and Don´ts stellen wir gerne in den Mittelpunkt, um die Komplexität zu reduzieren. Leider ist die Welt nicht so einfach wie in den meisten Western-Filmen der 50er Jahre. Wir werden nicht interkulturell kompetent, wenn wir wissen, dass man in China die Stäbchen nicht in den Reis stecken sollte (Symbol für Todesfall). Die Entwicklung interkultureller Kompetenz ist ein Prozess, der alle Beteiligten auf verschiedenen Ebenen miteinbeziehen muss – und eine der besten Investitionen, die ein Unternehmen tätigen kann. Denn interkulturell kompetente Mitarbeiter können sich bei ihren internationalen Einsätzen darauf konzentrieren, wofür sie eigentlich da sind: Auf ihre geschäftlichen Aufgaben.

By | 2017-01-06T08:59:46+00:00 08. 07. 2015|Interkulturelles Training|

About the Author:

Rainer Beekes ist interkultureller Experte aus der wirtschaftlichen Praxis. Während seiner Unternehmenslaufbahn war er über 25 Jahre für multinationale Konzerne wie z.B. Volkswagen Financial Services, American Express, GMAC oder Société Générale in 5 Ländern in Linien- und Führungspositionen tätig. Der studierte Betriebswirt und Master of International Management (MIM) leitet Global Cultures – Akademie für interkulturelles Management, für die über 200 Experten zu 112 Ländern und Regionen weltweit tätig sind. | Linkedin | Xing | Google+ | Twitter | youtube | RSS |