Auch wir kommen natürlich nicht umhin, uns dem beherrschenden Thema dieser Tage zuzuwenden. Ein zerknirschter David Cameron steht vor den Trümmern seiner Politik. Der in den letzten Monaten vor dem Referendum so europafreundliche Politiker hat sich offenbar verschätzt. Das Vereinigte Königreich hat sich für eine neue „Splendid Isolation“ entschieden. Aber wie einig ist das Königreich eigentlich noch? Eine Karte der Abstimmungsbezirke zieht klare Trennlinien. Schottland und Nordirland waren klar gegen den Austritt. Ebenso wollte London in der EU bleiben. Der Rest von England und Wales hatten hingegen die Nase von Brüssel voll! Die Faktoren hierfür sind bekannt und werden in der Presse hinreichend kommentiert. Interessant ist aber ebenfalls ein Blick auf die Situation aus kultureller Sicht
Großbritannien – ein Sonderfall in jeder Hinsicht
Bereits rein geographisch betrachtet liegen die britischen Inseln abseits von Europa. Nicht umsonst nennen die Briten Europa „den Kontinent“, dem sie sich nie so recht zugehörig gefühlt haben. Kein Wunder. Seit der Versenkung der spanischen Armada 1588 wurde Großbritannien die beherrschende Macht zur See und baute das größte Reich der Erde auf. „Der Kontinent“ lag jenseits der Wasser des Ärmelkanals und man interessierte sich für ihn hauptsächlich insofern, als dass die britische Machtposition durch die dortigen machtpolitischen Entwicklungen nicht gefährdet wurde (Abgesehen von den „Happy Few“, die die Côte d´Azur als Feriendomizil entdeckten). Dabei stützte sich Großbritannien nicht nur auf seine Seemacht mit der größten Flotte der Welt, sondern auch auf bahnbrechende Erfindungen. Die industrielle Revolution nahm von England aus ihren Anfang und für kurze Zeit war Großbritannien die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Daraus entwickelte sich ein eigenes Selbstbewusstsein der Überlegenheit gegenüber anderen Völkern. Gepaart auch mit der religiösen Sonderstellung einer eigenen Kirche entstand zusätzlich ein besonderes Sendungsbewusstsein, das die Briten allerdings auch mit anderen Großmächten der damaligen Zeit teilten. Man gefiel sich in seiner erfolgreichen Rolle. Sollten die anderen Länder doch machen, was sie wollten, Großbritannien ging seinen eigenen Weg, der Begriff der „Splendid Isolation“ wurde geprägt. Die letzte Invasion lag 1000 Jahre zurück, der Ärmelkanal hielt unliebsame Nachbarn fern und niemand konnte es mit der britischen Stärke aufnehmen. Der Erfolg gab dem Land in jeder Hinsicht Recht.
Hochmut kommt vor dem Fall
Es gibt sicherlich viele Meinungen darüber, wann der Niedergang Großbritanniens begann. Ich lege diesen Zeitpunkt auf den ersten Weltkrieg, der die überkommenen Strukturen Europas durcheinanderwirbelte und für politische Veränderungen sorgte, die sowohl fundamental waren, wie auch den Beginn von Krieg, Katastrophen und politischen Spaltungen im 20. Jahrhundert bedeuteten. Reiche gingen unter, neue Staaten entstanden, neue Ideologien wurden umgesetzt. Großbritannien war auf Seite der Sieger und konnte es sich – noch – leisten, sich als konservative Hochburg darzustellen. Aber auch in Großbritannien gab es tiefgreifende Veränderungen. Die wirtschaftliche Entwicklung hatte neue politische Kräfte entstehen lassen, das Land bekam eine Labour-Regierung, in den Kolonien gärte es zunehmend. Das letzte Zeichen britischer Großmacht setzte Premier Churchill, indem er sich Hitler mit „Blut, Schweiß und Tränen“ erfolgreich widersetzte. Wir wollen es uns lieber nicht vorstellen was geschehen wäre, wenn Großbritannien vor den Nationalsozialisten eingeknickt wäre. Dennoch war der zweite Weltkrieg letztlich der Todesstoß für das Empire. Man darf auch nicht vergessen, dass Großbritannien im Weltmaßstab eigentlich nur ein kleines Land mit wenigen Rohstoffen war. Der Krieg erschöpfte die Ressourcen, das Empire war schlichtweg nicht zu halten, das Kolonialreich ging verloren und die Insel wurde letztlich wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Eine sentimentale Erinnerung an das Empire blieb das Commonwealth of Nations, eine lose Verbindung der ehemaligen Kolonien und dem Mutterland, das politische letztlich jede Bedeutung verlor.
Europa kommt – Großbritannien kommt nicht mit
Doch auch im Nachkriegseuropa bevorzugte Großbritannien, seinen eigenen Weg zu gehen. Auf dem „Kontinent“ schlossen sich wichtige Volkswirtschaften erfolgreich zusammen. Erst wollte Großbritannien nicht mitmachen, dann durfte es nicht. Charles de Gaulle sagte „non“. Erst 1973 war es so weit, Großbritannien wurde Teil der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, bestätigt in einem Referendum von 1975. In den Jahren zuvor hatte Großbritannien sein Kolonialreich verloren und war wirtschaftlich zurückgefallen. Eine hohe Inflation, Arbeitskämpfe und Rezessionen trieben das Land dann doch in die Arme Europas. Das Nordseeöl begann damals erst eine Rolle zu spielen. Ansonsten suchte Großbritannien den europäischen Markt, um seine eigene Wirtschaft wiederzubeleben.
Der britische Löwe und die EU – keine Liebesehe
Wirtschaftliche Prosperität, nicht politische Integration war die Intention Londons. Wie suspekt den Briten die verschiedenen Aktivitäten der EU waren, zeigt sich an der Forderung von Margaret Thatcher: „I want my money back“. Trotz Krise war Großbritannien in Europa ein wirtschaftliches Schwergewicht und somit auch Nettozahler, was Beiträge an und Überweisungen aus Brüssel anging. Abgesehen von den Vorteilen der wirtschaftlichen Integration stand London plötzlich vor einer neuen Realität: Der politischen Integration. Die EU war dabei den Weg zu beschreiten, den Nachkriegspolitiker einst als „Vereinigte Staaten von Europa“ bezeichnet hatten. Wer aber sollte hier den Ton angeben? Berlin und Paris? Hier kommt die Geschichte wieder ins Spiel. Großbritannien hatte im Laufe der Jahrhunderte andere politische Vorstellungen, Kultur und Mentalität entwickelt. Und das Denken der Briten war zweifelsohne noch davon geprägt, dass das Land über eine ebenso lange Zeit eine Sonderstellung eingenommen hatte. Man machte, was man selbst für richtig hielt und nahm keine Rücksicht auf die Länder diesseits des Ärmelkanals. Nun regt sich offenbar jener Wesenszug, der einst die Briten 1940 im Angesicht eines überlegenen Gegners zum Durchhalten bewogen hatte. Diese Europa-suspekte Haltung konnte angesichts der politischen Entwicklungen in Brüssel, die die Gegensätze auch in Wirtschaftsfragen immer mehr zutage treten ließen, ausgerechnet von denen genutzt werden, die heute am rechten Rand des politischen Spektrums verortet werden. Ob tatsächlich oder nicht, die meisten Engländer und Waliser fühlen sich offenbar mehrheitlich als Verlierer in Europa! Wohlgemerkt nicht die Schotten und Nordiren.
Zuviel Europa – zu wenig Konsens
Die EU ist eine Staatengemeinschaft, die sich eine Zentrale gegeben hat. In einer Gemeinschaft muss natürlich Rücksicht auf die einzelnen Mitglieder genommen werden. Es ist aber auch folgerichtig, dass politische Macht von den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten an diese Zentrale abgegeben wird. Aber natürlich sind nicht alle Mitglieder gleich. Manche sind mächtiger als andere und ein Konsens von vielen ist mitunter schwierig zu erzielen. Somit fühlen sich auch innerhalb der EU die einen als Gewinner und andere als Verlierer. Solange es wirtschaftlich gut geht und alle nur profitieren, steht alles zum Besten. Wo aber steckt man nationale Grenzen ab? Die Flüchtlingskrise hat auch die Gräben innerhalb der Gemeinschaft wieder deutlich gemacht. Und mittlerweile gibt es in den meisten bedeutenden EU-Mitgliedern nationalistische Strömungen, die die Ängste nicht unbedeutender Bevölkerungsschichten kanalisieren und sich zunutze machen. Hier stehen die Briten nicht allein. Aber vielleicht ist die historisch gewachsene Mentalität der Briten der entscheidende Faktor dafür, dass ausgerechnet Großbritannien als erstes EU-Mitglied mit Brüssel abgerechnet hat. Wohlgemerkt auf demokratischen Wege!
Alt gegen Jung, gebildet gegen weniger gebildet
Die Analysen der Wahlforscher haben aber noch einen anderen Graben in Großbritannien ausgemacht: Den zwischen den Generationen. Denn es waren die Alten, die für die nötige Mehrheit gesorgt haben! Mithin diejenigen, die sich an „Merry old England“ noch erinnern können. Auch hier schlägt wieder die historisch gewachsene Mentalität durch! Europa wird von den Jungen viel positiver empfunden. Doch was nun? Haben die Alten den Jungen die Chance Europa verbaut? Wenn man die demographische Situation in anderen großen EU-Staaten betrachtet, lassen sich auch hier interessante Schlüsse ziehen. Wenn es um demokratische Mehrheiten geht, verschieben sich die Schwerpunkte auch dort immer mehr in Richtung der Älteren und ihren Ansichten und Standpunkten.
Weiterhin haben die Analysen offenbart, dass je höher der Bildungsstand, desto höher die Zustimmung zu Europa. Das sind jene Schichten, die offenbar fühlen, dass sie von Europa profitieren. Die „einfachen Leute“ hingegen fühlten offensichtlich eine große Kluft und suchten ihr Heil in der Abschottung. Gerade diese Schichten sind es ja auch, und das gilt nicht nur für Großbritannien, die den Argumenten der Überfremdung am meisten zugänglich sind. Der ukrainische Klempner und der polnische Maler sollen doch bitteschön durch Briten ersetzt werden, dann gibt es mehr Arbeit für die Einheimischen. Eine Binsenweisheit, die man leicht widerlegen kann, aber die so schön griffig daherkommt. Einfach Schlagworte, einfache Lösungen. Eine neue Splendid Isolation wird Großbritannien zu alter Größe führen. Pfeif auf den Kontinent. Die englische Version von „Mia san mia“.
Was wird kommen?
Werden weitere Austritte aus der EU folgen? Ist dies der Anfang vom Ende des Vereinigten Königreichs? Spalten sich Schottland und Nordirland ab (London kann dies wohl oder übel ja nicht tun)? Spekulationen gibt es zuhauf. Aber letztere Frage ist eine innerbritische Angelegenheit. Der Kontinent ist jedoch nicht Großbritannien. Internationale Kooperation hat in Kontinentaleuropa eine stärkere Tradition als in Großbritannien. Dennoch stellt die neue Entwicklung die EU mit Sicherheit auf eine Zerreißprobe und die politische Konsequenzen werden sich erst nach und nach zeigen.
Die EU hat angekündigt, jetzt schnell den Austritt Großbritanniens angehen zu wollen. Und man will hart verhandeln, um andere EU-Mitglieder abzuschrecken, ebenfalls austreten zu wollen! Ein Europa zusammengehalten durch Abschreckung? Das ist nicht gerade der Sinn der Sache Europa. Die EU ist in der Klemme, dass sie ihren Bürger vermitteln muss, dass es sich lohnt, dabei zu sein. Und sie tut sich sehr schwer damit, wie vielfältig die positiven Seiten auch sein mögen. Um es brutal auszudrücken: Mehr Handel kann man auf der Straße nicht sehen, jedoch die Ausländer, die „Dank der EU“ ins Land gekommen sind. Gerade diese simplen Beispiele sprechen die „Leute auf der Straße“ an. Weg mit der komplexen Welt, her mit dem einfachen Nationalstaat.
Auch innerhalb der EU werden sich die Machtpositionen verschieben. Großbritannien ist die drittstärkste Wirtschaftsmacht in der Gemeinschaft, knapp hinter Frankreich. Wer wird das Vakuum füllen? Bekommt Berlin noch mehr Einfluss, was sicherlich einigen Ländern gegen den Strich gehen würde? Oder spielt Italien, die Nummer 4, eine größere Rolle? Nicht umsonst trifft sich Frau Merkel mit Herrn Hollande und – Herrn Renzi. Eine Verschiebung der Gewichte in Richtung Mittelmeer? Was mögen die nördlichen EU-Mitglieder davon halten?
Wer zahlt die Zeche?
Der, der sie immer zahlt: Der sogenannte kleine Mann. Wenn tatsächlich die Wirtschaftsleistung zurückgeht und wenn tatsächlich Zollschranken wieder hoch gezogen werden, dann werden sich auch Arbeitsplätze verlagern. Oder können Sie sich vorstellen, dass nur wegen des EU-Austritts die Produktion von elektronischen Geräten in Großbritannien steigt? Diese einfache Formel ist auch bereits in anderen Ländern nicht aufgegangen, weshalb wir ja gerade in Europa Zölle abgebaut haben. Zudem verliert Großbritannien die Position als „Hub“ für Europa. Viele Investoren werden daraus ihre Schlüsse ziehen. Der Finanzplatz London wird vom Kontinent abgeschnitten, und unter den Londoner Bankern geht bereits die Furcht um ihre Arbeitsplätze um. Paris, Frankfurt und Dublin buhlen bereits um den zu erwartenden Nachlass.
David Cameron? Okay, er ist politisch beschädigt, aber er ist kein armer Mann und wird es auch nicht werden. Die Vorstände der Londoner Banken? Die müssen ja die neue Situation managen, entlassen werden im Zweifelsfall die Mitarbeiter, die vor den Bildschirmen Geschäfte abwickeln. Und gewinnen werden in jedem Fall die Berater – sie müssen ja jetzt die Unternehmen unterstützen, die neue Situation adäquat zu managen. Nein, es wird wieder diejenigen treffen, die am wenigsten zusetzen können. Ein hoher Preis für die sogenannte Unabhängigkeit. Peter Drucker hat einmal gesagt: „Culture eats strategy for breakfast“. Wie Recht er doch hatte.
Last but not least
Der „Brexit“ hat allen deutlich vor Augen geführt, wie stark die britische Mentalität ist und wie sie sich von der deutschen und auch der anderen Kulturen unterscheidet. Die britischen Inseln versinken jetzt nicht im Meer und auch in Zukunft wird mit Großbritannien Handel getrieben und im Land investiert werden. Deutlicher kann auch nicht vor Augen geführt werden, wie wichtig es ist, sich auf das Land und seine Leute einzustellen, um erfolgreich zu agieren. Nie zuvor wurde aufgezeigt, wie essentiell ein interkulturelles Training Großbritannien sein kann, nein sogar ist. Machen sie es nicht wie David Cameron. Verschätzen Sie sich, wenn es um die Einstellung der Briten geht. Global Cultures berät sie gerne. Und im Unterschied zu den Horden von Beratern, die oft engagiert werden, um sich lediglich abzusichern, bringen wir Ihnen echten Mehrwert, indem Sie gewinnbringende Strategien entwickeln und vor Ort auch tatsächlich umsetzen können. Verwandeln Sie den „Brexit“ in eine Chance – wir unterstützen Sie dabei.