Agile Führung – in Deutschland nicht immer einfach

Agile Führung? Klingt gut

Das neue Buzzword „Agile Führung“ ist in aller Munde. Das klingt gut und nach dem, wonach sich alle sehnen: Schnell sein, modern sein, die richtigen Antworten auf sich verändernde Umstände finden. So weit, so gut. Aber was steckt eigentlich wirklich dahinter, und wie verhält sich das mit den Werten – den eigenen und denen des Unternehmens?

Agiles Management – Antwort auf die Geschwindigkeit der Entwicklung

Die Anwendung agiler Methoden stammt ursprünglich aus der IT-Entwicklung. Dies ist kein Wunder. Klassische Projekt-Methoden definieren einen Leistungs- und Anforderungskatalog, genannt Lastenheft. Allein schon dieser Name sagt viel aus. Last. Arbeit ist eine Last, eine Belastung. Ist sie abgeschlossen und die Ergebnisse sind gut, ist das Lastenheft abgearbeitet. Dann können auch die Vorstände aufatmen, denn sie erhalten von den Aktionären eine Entlastung. Im Umkehrschluss bedeutet das, sie sind belastet, bis man sie davon befreit. Soviel zur Terminologie.

Anhand des Lastenheftes kann man dann die einzelnen Schritte planen und einen Projektplan aufstellen. Dabei ist sowohl der Umfang der Arbeiten, als auch der Zeitbedarf zu berücksichtigen. Es ist also jederzeit möglich, den Projektfortschritt zu kontrollieren, das Ziel fest dabei im Blick.

Planung, Zeit, Ressourcen und Kontrolle stehen also im Mittelpunkt des klassischen Projektmanagements. Das war bereits so, als die Telefone noch Schnüre hatten. Und gerade da liegt der Hund begraben. Die technologische Entwicklung hat dermaßen an Fahrt gewonnen, dass man gerade in der IT Methoden gesucht hat, um schnell ans Ziel zu kommen. Gleichzeitig musste man sich an sich verändernde Anforderungen anpassen und gegebenenfalls auch mit beweglichen Zielen arbeiten. Die Antwort darauf war agiles Projektmanagement. Heute überlegt man, ob man nicht alle Projekte so steuern sollte. Mit den entsprechenden Konsequenzen für das Management.

Neue Rollen

Agiles Management lebt von Veränderungen und Anpassungen. Es lebt auch davon, Fehler zu machen, aus denen man lernen kann und die daraus gezogenen Schlüsse dann umsetzt. Um die Schlagzahl hoch zu halten, werden die einzelnen Teams daher mit einer entsprechenden Entscheidungskompetenz ausgestattet. Die Teams steuern sich selbst! Das bedeutet natürlich einerseits, dass in einem solchen Umfeld die Mitarbeiter über eine entsprechende „sittliche Reife“ verfügen müssen. Fachkenntnisse, Verantwortungsbewusstsein, Offenheit und die Fähigkeit, Fehler einzugestehen, sind nur einige der Anforderungen an diese Arbeitsweise. Daraus ergibt sich auch, dass beileibe nicht alle Mitarbeiter für agiles Arbeiten geeignet sind. Aber auch die Vorgesetzten finden sich in einer neuen Rolle wieder. Ihnen kommt es nun zu, allein den Prozess zu steuern. Das bedarf eines guten Vertrauens in das Team, denn – sie müssen Entscheidungskompetenz und auch zu einem Gutteil Kontrolle aufgeben. Weiterhin müssen sie Fehler zulassen können.

Hierarchien Good-Bye?

In deutschen Unternehmen geht ein Gespenst um – das Krawattenverbannungsgespenst. Es ist so. Der Krawattenabsatz in Deutschland ist bereits signifikant rückläufig. Dahinter steckt die Idee, auch optisch sichtbar zu machen, dass man alles tut, um flache Hierarchien zu schaffen. Das ist das Gebot der Stunde, denn einerseits haben die Mitarbeiter der jungen Generation andere Werte und Ansprüche als die „Altgedienten“. Andererseits besagt die gängige Theorie, dass es flacher Hierarchien bedarf, um auf schnelle Veränderungen zu antworten. Deutschland ist bereits ein gutes Stück auf diesem Weg vorangekommen. Als ich anfing zu arbeiten, gegen Ende der 80er Jahre, herrschte ein spürbar anderer Arbeitsstil als heute. Dafür war es damals auch irgendwie gemütlicher, denn man konnte noch nicht im Bruchteil von Sekunden Nachrichten austauschen. Das Fax, sofern Sie noch wissen, was das ist, war schon eine kleine Revolution. Dennoch tun sich gerade Großkonzerne noch immer schwer mit dieser Entwicklung. Dies hängt auch damit zusammen, dass es entsprechende Job Descriptions gibt, die die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten beschreiben. Daran wird man im Zweifelsfall gemessen. Ist es erforderlich, Kontrolle abzugeben, kann so ein starker Interessenskonflikt entstehen, der im Zweifelsfall zu Gunsten der Job Description ausgeht. Hier wird auch deutlich, dass eine Systemänderung viel tiefgreifender ist, als es oberflächlich den Anschein hat.

Wir planen, um Fehler zu vermeiden – so sieht die deutsche Fehlerkultur aus

Deutsche sind generell dafür bekannt, alles gründlich anzugehen. Projekte werden lange geplant, jede Problematik soll idealerweise im Vorfeld berücksichtigt und eliminiert werden. Natürlich kommt es immer anders, als man denkt. Dann wird eine erneute Analyse gestartet und alles genau dokumentiert, damit spätere „Generationen“ nachlesen können, was schief gelaufen war, um dieselben Fehler zu vermeiden. Das Optimum ist sozusagen der Normalfall, der keiner weiteren Erwähnung bedarf. „Nicht kritisiert ist gelobt genug“ – dieser geflügelte deutsche Satz wird mir in fast allen meinen Seminaren mit deutschen Teilnehmern lächelnd bestätigt. Kritisiert werden Fehler – also muss man sie vermeiden. Deutsche sind daher großartige Unsicherheitsvermeider. Diese Einstellung hat unsere Wirtschaft nach der industriellen Revolution enorm voran gebracht und die historische Lektion ist schlicht, dass diese Vorgehensweise zum Erfolg führt. Gleichzeitig kostet sie Zeit. Agiles Management soll jedoch gerade beschleunigen. Bewegliche Ziele und Fehlertoleranz gehören dazu. Gerade aus Fehlern soll ja gelernt werden. Kleine Planungsschritte ersetzen umfangreiche Planungswerke. Mit anderen Worten „verletzt“ agiles Management Grundwerte der deutschen Kultur. Da hilft auch nicht, dass wir ohne Krawatten herumlaufen, denn die Werte stecken in unserem Kopf, nicht in unseren Hemden.

Kulturelle Herausforderungen

Es wird bereits heftig Kritik geübt, dass Deutschland sich mit der Digitalisierung schwer tut. Bisher hat die deutsche Wirtschaft noch immer den Anschluss geschafft. Aber bleibt das auch so? Bei den „alten“ Technologien sind wir Spitze, bei den neuen hinken wir hinterher. Tatsächlich beherrschen die Tech-Konzerne aus USA bereits den Markt und zu einem Gutteil unser Leben. China holt rasant auf. Und wenn es Methoden gibt, den Abstand zu verkürzen, stehen uns unsere Werte im Weg. Es wird interessant sein zu beobachten, wie die weitere Entwicklung aussieht. Und für alle Skeptiker oder Traditionalisten: Es gibt Bereiche, wo agiles Management nur schwerlich Sinn macht, wie z.B. eine Buchhaltung. Möglicherweise aber nicht mehr lange. Die ersten Quantencomputer arbeiten bereits und KI wird immer ausgefeilter. Eines ist sicher: Der Technologiesprung wird kommen. Was er bewirkt und wie unsere Welt dann aussehen wird, das ist unsicher. Zwar dachten das unsere Vorfahren auch, als das Auto aufkam, aber was damals in einer Generation passierte, passiert heute in wenigen Jahren. So oder so, wir müssen Wege finden, auf schnelle Veränderungen zu reagieren. Dafür ist agiles Management gedacht.  Noch kann das der Mensch bewerkstelligen. Und vielleicht sogar die Deutschen.

By | 2019-06-24T08:19:40+00:00 24. 06. 2019|Führungstraining|

About the Author:

Rainer Beekes ist interkultureller Experte aus der wirtschaftlichen Praxis. Während seiner Unternehmenslaufbahn war er über 25 Jahre für multinationale Konzerne wie z.B. Volkswagen Financial Services, American Express, GMAC oder Société Générale in 5 Ländern in Linien- und Führungspositionen tätig. Der studierte Betriebswirt und Master of International Management (MIM) leitet Global Cultures – Akademie für interkulturelles Management, für die über 200 Experten zu 112 Ländern und Regionen weltweit tätig sind. | Linkedin | Xing | Google+ | Twitter | youtube | RSS |